Bozen
Die Bozner Freiheitlichen einst und jetzt
Die Freiheitlichen haben in Bozen eine große Tradition. Nach der Revolution von 1848 galt der Kampf auf staatlicher Ebene einem Gemeinwesen auf der Grundlage einer geschriebenen Verfassung und bürgerlicher Freiheitsrechte, später setzten sich die Freiheitlichen in der Stadt vor allem für eine Modernisierung und einen Ausbau der Infrastrukturen ein.
Insbesondere seit der 1867 durchgesetzten Vereinsfreiheit sammelten sich viele Bozner Freiheitliche in Vereinen wie dem Turnverein Bozen (1862), der Sektion Bozen des Deutschen Alpenvereins (1869) oder dem Männergesangverein Bozen (1876). Diese freiheitlichen Vereine waren personell eng mit der Politik verbunden.
Unter den freiheitlichen Bürgermeistern ragt besonders Dr. Julius Perathoner (1895-1922) heraus. Er war seit 1872 Mitglied des Bozner Turnvereins sowie Mitbegründer des Männergesangvereins Bozen, dem er 47 Jahre lang als Obmann vorstand. Als Student in Innsbruck war er beim Akademischen Gesangverein Innsbruck, der heutigen Universitätssängerschaft Skalden.
Bürgermeister Perathoner gab der Stadt wichtige wirtschaftliche und kulturelle Impulse. Viele seiner stadtplanerischen und kommunalpolitischen Entscheidungen prägen Bozen bis heute: die Etschwerke (1898), die Talferbrücke (1900), die Promenaden zu beiden Seiten der Talfer (1901–1905), das Stadtmuseum (1905), das neue Rathaus (1907), die Kaiser-Franz-Josef-Schule (1908, heute Goetheschule), die Straßenbahn nach Gries (1909-1948 eingestellt), die Kaiserin-Elisabeth-Schule (1911, heute Danteschule), die Eingemeindung von Zwölfmalgreien (1911) und das Stadttheater (1913–1918 zerbombt).
Sammelten sich die Bozner Freiheitlichen zuerst in der Deutschliberalen Partei (nach dem Börsenkrach von 1873 und der einhergehenden Wirtschaftskrise wurde diese in mehrere Teile aufgesplittert, woraus sich in der Folge mehrere deutschfreiheitliche und deutschnationale Parteien entwickelten), so war dies zum Ende des 19. Jahrhunderts die Deutschfreiheitliche Partei. Der Zusatz „Deutsch“ war deshalb notwendig, weil sich innerhalb Österreichs auch Nichtdeutsche in freiheitlichen Parteien organisierten, so etwa die Italiener in Welschtirol). Die wichtigsten Exponenten der Deutschfreiheitlichen waren Julius Perathoner und Wilhelm Greil (von 1896 bis 1922 Bürgermeister von Innsbruck).
Die politischen Gegner der Freiheitlichen waren vor allem die Klerikalen (Konservative und Christlichsoziale, die 1918 zur Tiroler Volkspartei fusionierten), während die 1890 gegründeten Sozialdemokraten nur eine untergeordnete Rolle spielten. Im Gegensatz zu den Klerikalen setzte sich die liberale Deutschfreiheitliche Partei für eine strikte Trennung von Kirche und Politik ein und vertrat in erster Linie das städtische Bürgertum. Erst unter dem Eindruck der Besetzung Tirols durch Italien nach dem Ersten Weltkrieg schlossen sich die Deutschfreiheitliche Partei und die Tiroler Volkspartei im Oktober 1919 zum „Deutschen Verband“ zusammen; dies bei grundsätzlicher Aufrechterhaltung ihrer internen Programme.
Der Deutsche Verband erreichte bei den italienischen Parlamentswahlen im Jahr 1921 in Südtirol mehr als 90 % der abgegebenen Stimmen und damit alle vier Parlamentsmandate, die auf Landesebene vergeben wurden: neben den drei Konservativen Friedrich von Toggenburg, Eduard Reut-Nicolussi und Karl Tinzl wurde der Bozner Freiheitliche Wilhelm von Walther gewählt.
Am 3. Oktober 1922 wurde Bürgermeister Julius Perathoner infolge des Marsches der Faschisten auf Bozen von der italienischen Regierung abgesetzt und durch einen kommissarischen Verwalter ersetzt.
1926 wurde neben den deutschen Bozner Vereinen im Zuge des italienweiten Parteienverbots auch der Deutsche Verband aufgelöst. 1945 knüpfte die Südtiroler Volkspartei an die parteipolitische Tradition des Deutschen Verbandes an. Neben Kontinuitäten von Führungspersönlichkeiten übernahm die SVP dabei das Edelweiß als Parteisymbol, das vom Deutschen Verband bereits 1921 als Listenzeichen verwendet worden war.
Nach 1945 stand es nicht gut um Südtirol und in jahrzehntelangem Ringen musste dem italienischen Staat erst eine gewisse Autonomie abgerungen werden. Dies und die Tatsache, dass mit Dr. Silvius Magnago eine liberale und ausgleichende Persönlichkeit an der Spitze der SVP stand, führten dazu, dass der Gedanke der Sammelpartei und des Deutschen Verbandes jahrzehntelang lebendig blieb.
Erst der Wechsel zu einem dezidiert konservativen bäuerlichen Landeshauptmann in der Person Luis Durnwalders im Jahr 1989 und die Streitbeilegungserklärung 1992 führten zu einem Aufkündigen des inoffiziellen Deutschen Verbandes vonseiten der Freiheitlichen.
Unter der Patenschaft von Dr. Jörg Haider (FPÖ) wurden am 7. Dezember 1992 in Bozen „Die Freiheitlichen – das liberal-demokratische Bündnis“ gegründet. Landesparteiobmann wurde der aus dem liberalen Bozner Bürgertum entstammende Mag. Christian Waldner.
Über viele Jahre hinweg und insbesondere nach dem Tod Waldners im Jahr 1997 blieben die Freiheitlichen in ihrer ehemaligen Hochburg Bozen jedoch unorganisiert und konzentrierten sich unter der Führung von Pius Leitner aus Mühlbach eher auf ländliche Wählerschichten.
Erst am 28. Februar 2018 konnten die Bozner Freiheitlichen unter der Führung von Dr. Otto Mahlknecht und Mag. Dietlind Rottensteiner eine neue starke Ortsgruppe konstituieren.
Literatur
- Lothar Höbelt, Kornblume und Kaiseradler. Die deutschfreiheitlichen Parteien Altösterreichs 1882–1918. Verlag für Geschichte und Politik, Wien 1993
- Oswald Angerer, Die Freiheitlichen Südtirols. Entstehung, Programm, Organisationsstruktur, Akzeptanz. Unter besonderer Berücksichtigung ihrer Zusammenarbeit mit der Freiheitlichen Partei Österreichs und ihres Standpunktes in der Südtirol-Frage, Diplomarbeit, Universität Innsbruck, Innsbruck 2000.