Unsere Autonomiepfeiler sind nicht verhandelbar
Die Absicht der Sechserkommission, bei der Ausschreibung รถffentlicher Stellen vom Proporz โvorรผbergehendโ abzusehen, sollten die Stellen nicht wie vorgesehen besetzt werden kรถnnen, ist brandgefรคhrlich. Da hilft auch die Zusicherung nicht weiter, das letzte Wort habe das Einvernehmungskomitee beim Regierungskommissariat. Einerseits ist dieses politisch besetzt und es genรผgen Mehrheitsbeschlรผsse, andererseits entscheidet es nur รผber die Staatsstellen, von denen nur noch die Hรคlfte der im Proporzdekret 752/76 vorgesehenen รผbergeblieben sind.
Die โflexibleโ Anwendung des Proporzes gibt es in der Praxis bereits, sie mit einer Durchfรผhrungsbestimmung festzuschreiben verkehrt das Recht ins Gegenteil. Zur Erinnerung: Antonio Tajani, immerhin Vize-Regierungschef, hatte bei seinem Amtsantritt als Auรenminister der Republik Italien beim รถsterreichischen Auรenminister Schallenberg in Wien u. a. erklรคrt, die Muttersprache im Gesundheitswesen und im Verkehr spiele eine untergeordnete Rolle. Diese Aussage scheint inzwischen bei der SVP Gehรถr zu finden und droht zu einem gefรคhrlichen Paradigmenwechsel in der Minderheitenpolitik zu fรผhren, zu einer Selbstaufgabe autonomer Bestimmungen. Angriffe auf Proporz und Zweisprachigkeit sowie auf das Recht fรผr den Gebrauch der Muttersprache sind zwar nicht neu, gewinnen jedoch an Fahrt.
Es mag sein, dass angesichts des beklagten Personalmangels, zumal eines Fachkrรคftemangels, im Gesundheitsbereich nicht alle Stellen sofort mit zweisprachigem Personal besetzt werden kรถnnen und dass es Menschen grundsรคtzlich egal ist, ob sie in einer Notsituation von einem Arzt behandelt werden, der ihre Muttersprache nicht versteht.
Dies darf jedoch nicht als Vorwand verwendet werden, Autonomiebestimmungen und das Recht auf Gebrauch der Muttersprache zu verwรคssern oder gar aus den Angeln zu heben. In den vergangenen Jahren sind besonders im Bereich des Gesundheitswesens immer wieder Stellen in Abweichung von Proporz und Zweisprachigkeit ausgeschrieben und besetzt worden, Ausnahmen wurden inzwischen zur Regel. Ein Grund fรผr das mangelnde Interesse der Sรผdtiroler an รถffentlichen Stellen (besonders beim Staat) liegt auch an der schlechten Bezahlung, da besteht Handlungsbedarf. Es muss aber auch mehr dafรผr geworben und den jungen Sรผdtirolerinnen und Sรผdtirolern bewusst gemacht werden, dass sie aktiv an der Aufrechterhaltung von Autonomiebestimmungen teilnehmen mรผssen.
Die Tendenz zur Privatisierung von Staatsbetrieben wird zu einem weiteren Abbau der Proporzstellen fรผhren. Die Post (Poste Italiane) ist ein aktuelles Beispiel dafรผr. Fรผr das Personal aus anderen Provinzen braucht es Wohnungen, die fรผr unsere Leute dann fehlen. Es ist selbstverstรคndlich legitim, eine Bestimmung aus dem Jahr 1976 auf den Prรผfstand zu stellen und zu hinterfragen. Wer sich aber an die Zeit vor 1976 zurรผckerinnert, weiร, welch wichtiges Instrument zum Schutz der Deutschen und Ladiner mit dem Proporzdekret geschaffen wurde. Erst dadurch konnte die vom Faschismus geschaffene Ungerechtigkeit beseitigt und die Voraussetzung geschaffen werden, dass รถffentliche Stellen aufgrund der Sprachgruppenstรคrke besetzt werden. Gleichzeitig erรถffnete sich die Mรถglichkeit fรผr die Bevรถlkerung, das Recht auf Gebrauch der Muttersprache in Anspruch zu nehmen.
Bei allem Verstรคndnis fรผr kurzfristige Sondermaรnahmen dรผrfen die Grundsรคtze der Autonomie nicht รผber Bord geworfen werden. Proporz und Zweisprachigkeit spielen keine untergeordnete Rolle, sie sind Grundpfeiler unserer Autonomie und als solche grundsรคtzlich nicht verhandelbar!