Hohe Geistlichkeit, Wenn wir alljährlich an den Tod von Andreas Hofer erinnert werden und seiner gedenken, so soll dies nicht nur eine sich schablonenhaft wiederholende oberflächliche Geste sein, sondern eine ehrenvolle Verpflichtung im Zeichen einer sinnvollen und zeitgemäßen Erinnerungskultur. In dieses Gedenken schließen wir alle Opfer von Gewalt, Ungerechtigkeit und Unterdrückung ein, vor allem jene, die für die Freiheit ihr Letztes gegeben haben – herauf bis zum heutigen Tag. Gleichzeitig bietet dieser Tag die Gelegenheit, darüber nachzudenken, wo unser Land steht und welche Perspektiven es für eine gute Zukunft hat. Wir haben verlernt, geschichtliche Ereignisse im Lichte der jeweiligen Epoche zu betrachten und manche Zeithistoriker beanspruchen die Deutungshoheit und möchten die Geschichte umschreiben. Daher ist es wichtig, bestimmte „Geschichten“, („Narrative“ nennt man das heute), hinter der Geschichtsschreibung näher zu betrachten. Gewiss, die Zeit Andreas Hofers, sein Leben, Wirken und Sterben, sind geschichtlich gut aufgearbeitet, aber dennoch gibt es sehr unterschiedliche Bewertungen. „Einen tiefen Einblick in das Gemüt der Südtiroler*innen gibt unsere Heldenverehrung: ‚Es blutete der Brüder Herz, ganz Deutschland ach in Schmach und Schmerz.’ Zugegeben, Hymnen sind oft stupide, aber wir schaffen es, das dümmste Lied und die rückschrittlichste Persönlichkeit, die wir finden können, an oberste Stelle zu setzen. Gerade Andreas Hofer, dieser Tiroler al-Baghdadi, ist für ein modernes Land als Symbol so ungeeignet wie es nur geht: frauenfeindlich, bigott, ständig besoffen, Impfgegner und eigentlich ziemlich erfolglos. Damit können sich viele unserer tapferen Mandr offensichtlich gut identifizieren.“ Ja, die allermeisten Tiroler identifizieren sich mit Andreas Hofer als Sinnbild für Tapferkeit, Opferbereitschaft und Heimatliebe. Andreas Hofer war ein Kind seiner Zeit und mit Sicherheit kein „Tiroliban“. Keine andere Person in der Tiroler Geschichte versinnbildlicht den Zusammenhalt und die Gemeinschaft der Tiroler so wie Andreas Hofer. Er ist auch heute noch Orientierungspunkt und die Klammer zwischen den Landesteilen. Seine wahre menschliche Größe zeigte Andreas Hofer angesichts seiner bevorstehenden Erschießung, ausgedrückt auch in seinem Abschiedsbrief aus dem Kerker von Mantua. Er war bereit, die ganze Schuld für die Opfer während der Tiroler Erhebung gegen Napoleon und die mit diesem verbündeten Bayern auf sich zu nehmen. Was den Freiheitsbegriff anbelangt, so gilt der Grundsatz, dass es Freiheit ohne Verantwortung nicht geben kann und dass Freiheit immer auch die Freiheit des Andersdenkenden ist. Vom altgriechischen Staatsmann Perikles stammt der Satz: „Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.“ Und Mut kann einem Andreas Hofer wirklich niemand absprechen. Leider wurde Andreas Hofer im Laufe der Zeit immer wieder für die unterschiedlichsten Interessen missbraucht, von den Kommunisten ebenso wie von den Nationalsozialisten und auch für teilweise fragwürdige Werbezwecke. Wenn der Heimatbegriff zur Summe von Interessen wird, dann ist Patriotismus unehrenhaft. Liebe Anwesende! Erlaubt mir aus aktuellem Anlass ein paar ganz persönliche Gedanken zu äußern, was die heutige Verleihung der Ehrenzeichen des Landes Tirol an drei Südtiroler Persönlichkeiten betrifft. Dabei geht es mir nicht darum, den Geehrten ihre Lebensleistungen abzusprechen, ich erlaube mir aber die Frage, ob Ort und Anlass richtig gewählt wurden. Geehrt werden soll bekanntlich ja „das andere Südtirol“ und gemeint ist natürlich das „bessere“ Südtirol. Drei so genannte kritische Geister werden gewissermaßen auf den Heldenaltar gehievt und ein Andreas Hofer soll vom Sockel gestoßen werden. Wenn letzthin im Lande viel von Spaltung die Rede war, mit der Begründung für diese Ehrenzeichen vollzieht man sie. Es gibt nur e i n Südtirol, auch wenn es vielfältig und unterschiedlich ist. Was soll das „andere“ Südtirol bewirken? Das bisherige auslöschen anstatt im Lichte neuer Entwicklungen den Bestand weiterentwickeln? Die bis heute als unveräußerlich geltenden Grundsätze verwässern aushebeln und dem Zeitgeist opfern? Aufgepasst, wer sich mit dem Zeitgeist vermählt, könnte bald Witwe(r) sein. Heuer ragen im Rückblick drei prägende Ereignisse heraus, an die es zu erinnern gilt: an die faschistische Machtergreifung vor 100 Jahren, an die Inkraftsetzung des Zweiten Autonomiestatuts vor 50 Jahren und an die so genannte Streitbeilegungserklärung vor 30 Jahren. Leider ist es so, dass der faschistische Geist in Südtirol den Faschismus überlebt hat und dass eine gründliche Aufarbeitung noch immer aussteht. Wie sonst war es möglich, dass man z. B. erst in letzter Zeit von einem faschistischen Konzentrationslager in Blumau (Campo di concentramento Prato Isarco) erfahren hat? Warum ist es so schwer, Ortsnamen vom faschistischen Ballast zu befreien und im Sinne der historischen Wahrheit als Denkmäler der Sprach- und Siedlungsgeschichte eines Volkes festzulegen? Warum werden faschistische Relikte nicht wirklich als solche gekennzeichnet oder entfernt? Solange selbst in Gemeinden und im Landtag nationalistisches Gehabe an den Tag gelegt wird, so lange können wir nicht zur Tagesordnung übergehen. Vor 50 Jahren trat das Zweite Autonomiestatut in Kraft. Vorausgegangen waren Jahre zäher Verhandlungen und eine Zeit schwerer Entscheidungen. Leider waren große Opfer notwendig, um Italien an den Verhandlungstisch zu zwingen und ihm eine Landesautonomie abzuringen. Im Sommer 1992, also vor mittlerweile 30 Jahren, erfolgte die Beilegung des Streites zwischen Italien und Österreich vor der UNO. In diesen 30 Jahren entwickelte sich die Autonomie von einem Minderheitenschutz zu einem Sprachgruppenausgleich. Die Italiener im Lande profitieren von der Autonomie ebenso wie die Deutschen und Ladiner. Trotzdem kann in den Reihen der italienischen Sprachgruppe kein besonderes Landesbewusstsein festgestellt werden. In Stein gemeißelt wird der status quo nicht bleiben und es gibt kein Ende der Geschichte. Ob es möglich ist, alle drei Sprachgruppen für ein gemeinsames Projekt zu begeistern (nach dem Vorbild der Schweiz, wo es vier Ethnien gibt, die sich jedoch alle als Schweizer fühlen) oder ob die Autonomie das höchste der Gefühle bleibt, wird sich zeigen. Der tägliche Kampf um den Erhalt bzw. die Rückholung autonomer Befugnisse könnte die Menschen irgendwann mürbe machen. Es liegt an uns allen, mitzudenken und Einsatz zu zeigen, gute Lösungen für die Zukunft zu finden. Die Ergebnisse des Autonomiekonvents sind dafür eine gute Basis und es ist höchste Zeit, sie auf die politische Tagesordnung zu setzen. Dabei dürfen wir neue Entwicklungen nicht ausblenden, ganz gleich ob es die Energiefrage, der Verkehr, die Zuwanderung oder die Digitalisierung ist. Es kommt auf das rechte Maß an, damit sich Vor- und Nachteile einpendeln. Ich sehe auch in der Auseinandersetzung mit dem Islam und in der Umgestaltung unserer Sprache durch Gendern und Wegdigitalisieren durchaus große Herausforderungen. Das waren für Andreas Hofer keine Probleme, wie er sich auch nicht mit Sterbehilfe, Geschlechtergerechtigkeit bzw. mit 50 verschiedenen Geschlechtern, mit dem Klima, mit Verkehrs- und Umweltfragen und anderen Dingen befassen musste, die heute die Welt bewegen. Wir können uns sehr wohl an Andreas Hofers grundsätzlicher Einsatz- und Opferbereitschaft ein Beispiel nehmen, mit den Mitteln unserer Zeit. Um es mit Marie von Ebner-Eschenbach zu sagen: „Der Zweifel am Sieg entschuldigt nicht die Aufgabe des Kampfes.“ Jeder Lösungsansatz für eine gute Entwicklung Südtirols muss den Frieden im Auge behalten. Das ist für mich die zentrale Botschaft jeder Gedenkfeier für die Gefallenen. Ebenso klar ist, dass ein dauerhafter Frieden nur auf Gerechtigkeit gebaut werden kann. Daher bekräftige ich mit Nachdruck, dass das Menschenrecht Selbstbestimmung ein unverzichtbares und international verankertes Recht ist, zu dessen Respektierung sich auch Italien verpflichtet hat. Es liegt an uns Südtirolern, unsere Schicksalsfragen unmittelbar und selber zu entscheiden. Ich verneige mich vor den Frauen und Männern unserer Geschichte, die große Opfer gebracht haben und ich wünsche, dass die Erinnerung an sie zum Frieden mahnt. Pius Leitner Göflan, am 20. Februar 2022Gedenkansprache von Pius Leitner bei der Andreas-Hofer-Feier in Göflan
geschätzte Vertreter der Behörden,
liebe Schützen und Marketenderinnen,
liebe Mitglieder der Bläsergruppe,
liebe Tiroler Landsleute!
Es haben sich schon viele Personen an Andreas Hofer abgearbeitet, letzthin ein in Wien lebender Lehrer aus Südtirol, der im „Skolast“, der Zeitung der Südtiroler Hochschülerschaft schrieb:
Wenn wir die damalige Gottesfürchtigkeit der Tiroler mit dem heutigen Zugang zum christlichen Glauben vergleichen, dann klafft wohl ein Riesensprung. Trotz der Krise, in der sich derzeit unserer Amtskirche befindet, bleiben christliche Grundsätze und die christlichen Wurzeln Tirols, aber auch ganz Europas, unverrückbar. Freiheit, Menschenwürde, Nächstenliebe, Vergebung, Ehe und Familie, Achtung der Schöpfung – all das sind Werte, die es zu verteidigen gilt. Otto von Habsburg hat einmal gesagt: „Europa wird christlich sein oder es wird gar nicht sein.“
Die Diskussion im Vorfeld, befeuert auch von einem Auszuzeichnenden (Reinhold Messner), verleiht den Ehrungen eine schiefe Optik. Ich habe nicht wenig gestaunt, als ich im lokalen öffentlichen Rundfunk hörte, die Ehrungen seien als Unterstützung für den Landeshauptmann zu werten. Es ist beschämend und zeugt von parteipolitischem Missbrauch, wenn der anhaltende Richtungsstreit innerhalb einer Regierungspartei am Gedenktag für Andreas Hofer seine Fortsetzung findet. Dieser Gedenktag steht für die Einheit Tirols, nicht für Trennung, Spaltung, persönliche Befindlichkeiten – und auch nicht für persönliche Lorbeeren!
Wenn das Land Tirol Ehrenzeichen vergibt, so darf man erwarten, dass die geehrten besondere Verdienste für dieses Land erworben haben, was sie für dessen Freiheit und Unabhängigkeit getan haben. Es kann jedoch nicht darum gehen, Angehörige bzw. Verfechter einer linken „fortschrittlichen“ Gesinnung zu ehren, um den im besten Sinn des Wortes patriotischen Tirolern das Heimatbewusstsein zu vergällen oder gar auszutreiben.
Ehem. Landeskommandant des Südtiroler Schützenbundes
Abgeordneter zum Südtiroler Landtag a. D.