Wolf und Bär
von Andreas Leiter Reber
Man macht sich in Südtirol wenig Freunde, wenn man eine Meinung vertritt, die nicht dem Katechismus des vermeintlichen Zeitgeistes entspricht. Beim Thema Wolf und Bär zeigt sich wie weit Wunsch und Wirklichkeit in unserem Land auseinanderliegen und wie widersprüchlich wir als Gesellschaft bereits geworden sind.
Ich bezeichne mich als Tierliebhaber und als Tierschützer, obwohl ich auch selbst Tiere töte. Ich kann es nicht ausstehen, wenn Tiere leiden müssen oder gequält werden, aber ich beende auch immer wieder ihr Leben. Ich töte „Schädlinge“ von der Kleidermotte bis zur Ratte und ich töte Hühner, Schafe oder Schweine, um sie zu essen. Alle Tiere faszinieren mich auf ihre eigene Art und Weise und jede einzelne Art die wir auf dieser Erde verlieren empfinde ich als Verlust. Der Wolf als stolzes Raubtier fasziniert mich ganz besonders und trotzdem bin ich für dessen Entnahme in Südtirol. Unsere Landesfläche ist dicht erschlossen und wird von uns allen als Arbeits- und Erholungsraum genutzt. Ich empfinde es als bewusste Realitätsverweigerung, wenn wir annehmen, dass wir in Südtirol über geeignete Habitate verfügen in denen Wölfe gemäß ihrer arteigenen Lebensweise Rudel bilden, gemeinsam jagen und sich ihre natürliche Scheu vor dem Menschen erhalten können.
Die Wunschvorstellung vieler Menschen, außerhalb der eigenen vier Wände eine „unberührte“ und „wilde“ Natur vorfinden zu wollen, widerspricht vielfach dem gesellschaftlichen Lebensstil in Südtirol.
Wir sind für den Wolf, da Südtirols Naturlandschaft ja „sein Lebensraum ist und nicht unserer“, aber gleichzeitig wollen wir gepflegte Almen, neue Klettersteige, wir posten dreimal täglich ein Gipfelfoto, tragen unser Mountainbike über den Alpenhauptkamm und zurück, wir haben in Pfelders oder am Speikboden Schifahren gelernt, jetzt verachten wir diesen Skizirkus und suchen das wahre Naturerlebnis bei Skitouren oder Schneeschuhwanderungen auf den abgelegensten Hängen – unberührt, außer vom Schneehuhn, das wir aufschrecken und schnell mit dem Smartphone festhalten, und uns selbst. Im schlechtesten Fall hinterlassen wir Müll und bestellen das neue Wurfzelt und die no-plastic/no-aluminium-Trinkflasche bei Amazon.
Wir tun weder uns noch dem Wolf einen Gefallen, wenn wir diesen Umstand ausklammern und zwanghaft an einem romantischen Zusammenspiel zwischen Großraubwild, Freizeitparadies und Almwirtschaft festhalten. Aber wahrscheinlich muss es wirklich erst zu dramatischeren Begegnungen zwischen Wölfen und Menschen kommen, vielleicht reicht aber auch eine Titelseite auf der Bildzeitung „Wolf zerfleischt Pudel vor deutscher Urlauberfamilie – Kinder stehen unter Schock“ bis ein Umdenken in Politik und Gesellschaft stattfindet.