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Rede zum Haushalt von L. Abg. Andreas Leiter Reber im Wortlaut

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❝Herr Landeshauptmann,

das Volumen des Landestopfes kann sich sehen lassen. 6,1. Milliarden und eine halbe Milliarde Zehent für den Kaiser in Rom sind beeindruckend und lassen das Land auf den ersten Blick gut dastehen. Diese Summen wurden durch harte, fleißige Arbeit, konstant guten Touristikern, starke Handelstreibende, Leistung und der Erzeugung von Qualitätsprodukten geschaffen. Viele Selbstständige und Arbeitnehmer arbeiten sehr, sehr hart, betriebswirtschaftlich oft bedenklich knapp, um die Steuerlast und Lohnnebenkosten stemmen zu können. Einen ehrlichen Dank an alle arbeitenden, dienstleistenden und produzierenden Bürger, also an jene, die einen wesentlichen Teil das Geld erwirtschaftet haben, mit dem Sie und die Landesregierung planen wollen, habe ich in Ihrer Haushaltsrede vermisst.

Vielleicht wäre es ja auch zu banal, in der Haushaltsrede nur vom schnöden Mammon zu reden. Aber es sollte die Landesregierung allarmieren, dass künftig trotz des stattlichen Haushalts keine großen Spielräume für Investitionen und für jene Bereiche wo bereits jetzt zusätzliche Gelder nötig wären, vorhanden sein werden. Wenn die laufenden Kosten die Gelder für Investitionen und Sozialmaßnahmen fressen, und man den Bürger nicht zusätzlich belasten will oder kann, muss gespart werden. Andeutungen eines Wirtschaftsplanes oder Sparkonzeptes habe ich Ihrer Rede nicht entnommen. Wie die Landesregierung die laufenden Kosten senken will und welche Strategie sie hat, falls die Steuereinnahmen einmal nicht mehr so üppig ausfallen, scheint es nicht zu geben und falls es sie doch geben sollte, wurden sie uns im Südtiroler Landtag und den Bürgern dieses Landes nicht mitgeteilt.

Herr Landeshauptmann, ich komme nun von dem was Sie in ihrer Haushaltsrede leider nicht gesagt haben, zu dem was Sie gesagt haben:

Herr Landeshauptmann, sie haben wahrlich hehre und große Ziele, und eine nicht ganz unbescheidene Vision, – sie wollen Südtirol zu einem „der lebenswertesten nachhaltigen Lebensräume in Europa machen“. Komparativ II – also nicht bloß lebenswert, auch nicht lebenswerter als anderswo, sondern zu den lebenswertesten und auch nicht nur im Alpenraum, sondern in ganz Europa. Ich sage das völlig Ironiebefreit Herr Landeshauptmann, im Gegenteil, Menschen mit Visionen gehören für mich nicht zum Arzt, sondern wir brauchen immer neue und visionäre Ideen, wenn wir den Ist-Zustand verändern und verbessern wollen.
Ich selbst finde Südtirol ja jetzt schon nicht nur lebenswert, sondern sogar liebenswert, aber die reine Vorstellung, dass wir alle, die Brigitte Foppa, der Kollege Urzi und alle anderen Südtiroler, künftig in einem der lebenswertesten Lebensräume Europas leben werden, hat mich fasziniert und lässt mich auch nicht mehr los. Ich war mir anfangs nur nicht ganz sicher, wer es denn jetzt schon geschafft hat, sich zu den lebenswertesten Lebensräumen Europas zählen zu dürfen. Deshalb habe ich nachgeschaut.

Das Weltwirtschaftsforum (WEF) hat eine Berechnungsmethode entwickelt, die den Lebenswert in einem Land bemisst. Dabei werden neben Wachstum und Entwicklung, wirtschaftliche Inklusion, Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit als Säulen umfasst. 29 der hochentwickeltsten Länder wurden untersucht und nun ein paar Ergebnisse, damit wir sehen zu welchen Lebensräumen wir dank des Landeshauptmanns künftig zählen werden und wenn wir aufsteigen, dann wollen wir ja wissen in welcher Liga wir spielen werden: Eins vorweg, – Kollege Urzi – halt dich fest, Italien ist raus.

Auch das wirtschaftsstarke Deutschland und auch nicht „la grand nation“ Frankreich befindet sich unter den Top 10. Auf Platz 1 liegt Norwegen, das zweit-lebenswerteste Land ist das kleine Island (und die 300.000 Isländer lieben wir spätestens seit der WM 2016), auf Platz 3 kommt Luxemburg (mit 600.000 Einwohner) und auf Platz 4 kommt ein Land, für uns ein wahres Land Utopia. Ein Land, in welchem mehrere Volksgruppen zusammen leben, in dem Deutsch, Italienisch, Französisch und Rätoromanisch Amtssprachen sind, wo es in einem mehrheitlich italienischen Dorf ein italienisches Ortsschild gibt und in einem deutschen Dorf, man mag es kaum glauben, eine Ortstafel mit einem gewachsenem deutschen Ortsnamen steht, und amtlich ist der Name auch noch. Aber das Beste kommt noch, der Wortstamm der Landesnamens bleibt auch noch in allen Amtssprachen erhalten: Schweiz, Svizzera, Suisse, und im englischen wird weder die deutsche oder italienische Landesbezeichnung verwendet, sondern das englische Exonym „Switzerland“. Und was uns an unseren direktdemokratischen Nachbarn, am meisten überraschen muss (wir empfinden sie manchmal ja als etwas grob und vielleicht auch schrullig, aber das macht sie ungemein sympathisch ), mit welcher Normalität und Unaufgeregtheit sie auch abseits der öffentlichen Verwaltung die gewachsenen Namen verwenden: Von den Touristikern, über dir Verbände und bis zur Wirtschaft. Und die Bevölkerung wird in alle wichtigen Entscheidungen miteingebunden und die in den offiziellen Schweizer Pro-und Contra-Broschüren angeführten Auswirkungen und Argumente einer Abstimmung stimmen mit der rechtlichen Fragestellung überein und überlassen, anders als bei uns, auch keinerlei Interpretationsspielraum. „Hop Schwyz!“ – sag ich da nur.

Herr Landeshauptmann, wenn wir wirklich hier in Südtirol zu den lebenswertesten Lebensräumen Europas zählen wollen, und das natürlich möglichst zeitnah. Herr LH, helfen Sie mir jetzt bitte, ich versuche gerade Ihre Vision zu konkretisieren. Also bevor Sie möglicherweise erste Alleingänge machen und dann auf halber Strecke aufgeben, sollten wir vorher ganz objektiv überprüfen, ob unser Land – wie wir es bei den derzeitigen Siegern sehen – überhaupt eine Chance hätte. Um also vom Weltwirtschaftsforum das Prädikat lebenswertester Lebensraum verliehen zu bekommen, sollte man:

– flächenmäßig ein möglichst kleines Land sein,

-eine gesunde Wirtschaft und eine soziale Fürsorge vorweisen können,

– Schnee darf den Bürgern kein Fremdwort sein.

– das Land sollte mindestens 300.000 Einwohner haben, (bei weniger wird’s kritisch und über 10 Mio wird’s kompliziert, dann ist man auch raus)

-im Land dürfen gern mehrere Sprachen gesprochen und mehrere Volksgruppen zusammenleben,

-eine klein strukturierte Landwirtschaft ist anscheinend von Vorteil,

– und hohe Berge und eine atemberaubende Landschaft sind zwar kein Muss, werden aber eindeutig bevorzugt.

Ich würde sagen, die Sache ist geritzt, beste Voraussetzungen, Herr Landeshauptmann, das können wir! Diesen Mut und diese ansteckende Zuversicht zu einer lebenswerten Selbstverwaltung und nachhaltigen Unabhängigkeit Südtirols, hätte ich Ihnen schon gar nicht mehr zugetraut, jetzt wo wir alle wissen, dass Sie unser Heimatland künftig in die Riege der lebenswertesten Länder einreihen möchten. Wir Freiheitliche unterstützen Sie darin, dieses Ziel für Südtirol umzusetzen und für Sie wäre es ein persönlicher Befreiungsschlag, denn mit dieser visionären Perspektive für Südtirol strafen Sie all jene Lügen, welche Sie immer wieder als Zauderer, wenig visionär, als Südtirols Cheshire-Cat und autonomiepolitisch weichgespült bezeichnen oder ihnen fehlende Bürgernähe vorwerfen.
Aus Interesse vielleicht für die Herren Knoll und Urzi, Österreich belegt im Ranking den guten 10. Platz, Deutschland den 12. und Italien den Platz 27. von 29. Immerhin den 3. von hinten Kollege Urzi.

Werter Landehauptmann, Sie bezeichnen Südtirol gern als kleines Europa in Europa.

Was wir aber jetzt schon mit dem großen Europa gemeinsam haben, sind die Herausforderungen. Und ich werde nun etwas weniger vertrauensvoll. Die Staatengemeinschaft der EU steht vor großen Herausforderungen und die Entscheidungen die in Brüssel und Straßburg gefällt werden wirken sich auf uns alle aus. Nicht nur hier in Europa sondern auch darüber hinaus.

Eine der größten Gefahren für die Wirtschaft und somit für die Finanzen eines Landes ist der – Brain Drain – die Abwanderung der Talente, der gut Ausgebildeten, der Leistungsträger.

Lange Zeit konnte die europäische Wirtschaft international punkten weil sie technologisierter, qualifizierter und insgesamt in vielen Bereichen fortschrittlicher als andere Länder und Kontinente war. Das zeichnet übrigens auch die Südtiroler Wirtschaft aus, innovationswillige Betriebe mit qualifizierten Mitarbeitern. Unsere gut ausgebildeten Handwerker, die durchaus auch in bereits lebenswerteren Ländern gesucht und geschätzt sind.

Doch die jahrzehntealten Handels- und Wirtschaftskreisläufe befinden sich im Wandel. Vorreiter sind heute andere – die großen Internetplattformen und Social-Media-Player finden sich nicht in Europa, bei den neuen Technologien, intelligenten Produkten, besonders jene der Autoindustrie, haben andere die Nase vorn und auch im medizinischen Bereich zählen viele europäische Staaten nur noch zum Durchschnitt.

Mittlerweile – und das ist für die Menschen dort erfreulich – stehen zahlreiche Schwellenländer und ganz Südostasien in den Startlöchern, im weltweiten Wettbewerb gehörig mitzumischen. US-Präsident Donald Trump hat Europa gegenüber einen aggressiven Kurs eingeschlagen und orientiert sich auf andere Wirtschaftsplayer. China versucht, seine Interessen etwas subtiler durchzusetzen: durch bilaterale Abkommen mit Regierungen in Zentral- und Osteuropa und einer gezielten Wirtschaftspolitik – die neue Seidenstraße könnte zu einem gefährlichen Pflaster für die gesamte europäische Wirtschaft werden.

Geschätzte Kollegen, wir in Europa können es uns nicht leisten, weiterhin viele unserer besten Köpfe zu verlieren, wenn wir in diesem Wettbewerb der Systeme und Ideen bestehen wollen und die Aussicht darauf, dass die wichtigen globalen Entscheidungen nur noch zwischen den USA und China getroffen werden, ist gerade was die von Ihnen Herr Landeshauptmann angesprochene Nachhaltigkeit und auch was unser europäisches Umweltbewusstsein angeht, nicht besonders prickelnd. Zudem werden unsere westlichen Sozialsysteme wesentlich vom insgesamten Wirtschaftsaufkommen und den Steuererträgen getragen. So wie unser Landeshaushalt.

Zum Brain-Drain bringe ich nun ein paar Eckdaten der jüngsten OECD Studie die für uns Südtiroler interessant sind. Südtirol hat eine deutlich stärkere Abwanderung als der (staatliche) italienische Durchschnitt. Ich verwende deshalb die Zahlen für die BRD, welche den ähnlich hohen Anteil an Abwanderern hat.

Auswanderung ist «chancengetrieben»: Für 58% der Befragten haben eigene berufliche Gründe und für 29% hat der Beruf des Partners bzw. der Partnerin eine wichtige Rolle bei der Entscheidung für ein Leben im Ausland gespielt (Mehrfachnennungen möglich). Nur 18% gaben «Unzufriedenheit» als Motiv an. «Es gehen also nicht die Verbitterten oder Enttäuschten, sondern diejenigen, die schon  erfolgreich waren und den nächsten Karriereschritt planen»

Auswanderer sind gut ausgebildet: 76% der befragten mobilen Deutschen, aber nur 25% der Gesamtbevölkerung haben einen Hochschulabschluss.

Auslandaufenthalte lohnen sich: Der monatliche Nettoverdienst von Vollzeitbeschäftigten lag laut der Befragung etwa ein Jahr nach dem Umzug ins Ausland um durchschnittlich 1.186 € höher als vorher. Damit lag der Anstieg weit über jenem von Personen, die nicht oder nur im Inland umgezogen sind. Berücksichtigt man die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten, fällt der kaufkraftbereinigte Lohnanstieg der Auswanderer in Ländern wie der Schweiz oder den USA geringer und in China oder Spanien höher aus, doch es bleibt immer ein deutlicher Gewinn.

Im Durchschnitt gehen 180.000 gut ausgebildete Menschen, 130.000 kehren wieder heim.

Jetzt werden viele sagen, dann kommen ja eh die Meisten zurück, aber hier liegt ganz klar Brain Drain vor: Alle zehn Jahren wandert eine halbe Million (1%) hochqualifizierter, bestausgebildeter Leistungsträger das Land. Umgerechnet auf Südtirol wären 1% rund 5.000 Talente die uns in alle 10 Jahre verlassen, bzw. 500 Ingenieure, Ärzte, Wissenschaftler, Juristen und Spezialisten. Ich habe die Zahlen bewusst 10% niedriger gehalten, weil bei uns auch der Bevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss dementsprechend geringer ist. Real könnte es noch schlimmer aussehen. 2017 wanderten ca. 1500 Südtiroler aus und weniger als 100 Südtiroler kehrten in die Heimat zurück. (So wie wir nicht wissen wie viel Umwegverkehr in Form von LKWs durch unser Land rauscht, fehlen uns leider auch hier die genauen Zahlen)

Europa – und auch Südtirol – muss hier die Kurve kratzen, wir haben keine Garantie auf wirtschaftliche und soziale Stabilität und Frieden, wenn die guten Köpfe auswandern und aus den Nicht-EU-Ländern vor allem wenig Qualifizierte einwandern.

Aufwachen meine Herren und Frauen von der SVP, – Sveglia, Lega, die ohne Vettori, dafür jetzt mit Salvini im Namen da sitzt (früher einmal stolze Autonomisten und Sezessionisten), ihr seid die Regierung dieses Landes, nicht brave Ressortleiter oder Amtsdirektoren die nicht dürfen, obwohl sie vielleicht wollten.

Auch wir Südtiroler verbinden die Auswanderung Hochqualifizierter mit der Einwanderung Geringqualifizierter. Ja, unser Arbeitsmarkt ist auch auf eine bestimmte Anzahl geringer qualifizierter Menschen angewiesen, und nein, ich spreche nicht von Kriegsflüchtlingen und Verfolgten, deren Anzahl wir nach unserer sozialen und wirtschaftlichen Verträglichkeit bestimmen müssen und die bei uns einen Schutz auf Zeit erfahren und kein immerwährendes Bleiberecht haben. Jeder hier im Raum kennt die Prognosen für den afrikanischen Kontinent, wenn wir nicht endlich zwischen echten Flüchtlingen und Migranten unterscheiden und selbst kontrollieren und steuern wer ins Land kommt und wer es wieder verlässt, können wir den Laden zusperren.
Ich habe von hochqualifizierten und gering qualifizierten Arbeitskräften gesprochen. Ich habe noch nicht von den unausgebildeten Menschen gesprochen, die kaum eine unserer Sprachen sprechen und sich nicht Integrationswillig zeigen.  Meine Kollegin hat gestern bereits die sozialen Hotspots und das dortige Sicherheitsproblem ausführlich thematisiert. Ich will daher bei der Analyse der ökonomischen Effekte der unkontrollierten Migration bleiben. Oft wird dabei die Umverteilung innerhalb unseres Sozialsystems vergessen und wir begegnen einer neuen sozialen Frage: Viele glauben, dass allein die Aufnahme einer einfachen Hilfstätigkeit schon dazu führt, dass sich ein Zuwanderer ohne jegliche Ausbildung selbst finanziert, was aber in den wenigsten Fällen gegeben ist, ohne zusätzliche Hilfe geht es meistens nicht.

Sogenannte „unbegleitete minderjährige Migranten“ kosten unserer Gesellschaft mit all den Programmen und begleitenden Maßnahmen mehrere Tausend Euro im Monat; alt gewordene Beitragszahler müssen sich mit 700 Euro Rente zufriedengeben. Die Gesellschaft muss diese Fragen offen stellen dürfen und die Landesregierung muss diese Fragen nicht bloß ertragen, sondern sie hat die Pflicht diese Fragen mit Verantwortungsethik für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes zu beantworten.
Landesrat Widmann, ihr Plan von der Rückgewinnung unserer Ärzte kann nur dann ein Erfolg werden, wenn Südtirol allgemein für hochqualifizierte Zuwanderer aus anderen europäischen Ländern, aber auch aus anderen Industrieländern außerhalb Europas attraktiver wird. Dazu gibt es viele Ansätze, einer könnte zum Beispiel das Gewähren von steuerlichen Vorteilen in den Anfangsjahren sein, Skandinavien fährt recht gut damit.

Herr Landeshauptmann, sie möchten unser Land zu einem der lebenswertesten nachhaltigen Lebensräume in Europa machen.

Herr Landeshauptmann, es ist nicht verwunderlich, dass Sie sich selbst und ihrer SVP/Lega Salvini Alto Adige-Sudtirol-Regierung ein gutes, hoffnungsfrohes Zeugnis ausstellen. Aber abgesehen davon, halte ich es auch sehr wichtig und vollkommen richtig, dass man das, was gut läuft, auch sagt und sichtbar macht, und darüber sollen Sie sich auch freuen und stolz sein dürfen.
Aber ich glaube es würde Ihnen als Landeshauptmann, ja auch der restlichen Landesregierung, ihre Landesräte machen immer alles schon, sind immer schon dabei, wenn man aus den Oppositionsbänken höflich nachfragt oder gar Vorschläge miteinbringt, es würde euch allen nicht schlecht zu Gesicht stehen, auch das klar anzusprechen, wo es nicht so gut läuft, wo ihr noch nicht das erreicht habt, was ihr euch vorgenommen habt. Nicht für uns Oppositionspolitiker, sondern für die Menschen in diesem Land, die oft sehr große Probleme haben und sich nicht von dieser Haushaltsrede angesprochen fühlen.

Diese erwarten sich Antworten und Lösungen und wenn Sie diese aus guten Gründen nicht haben oder nicht geben können, dann sagen Sie das bitte auch, ich bin mir sicher, dass viele Südtiroler dankbar dafür wären und auch mehr Verständnis für bestimmte Mängel aufbringen könnten.
Wer sind aber diese Südtiroler, die sich eine Veränderung ihrer Situation erwarten, die sich klare Botschaften und Konzepte erwarten, die ernst genommen und gehört werden wollen, die sich einfach mit Respekt behandelt fühlen, wenn Ihnen die Landesregierung offen sagt, warum sie bisher ihre  Situation nicht verbessern konnte:

Es sind viele ältere und ganz alt gewordene Menschen.

Von Altersarmut betroffene, das sind Mindestrentner, die kaum über die Runden kommen.

Es sind viele junge Menschen, junge Familien, aber auch Singles und Geschiedene, die kaum eine leistbare Wohnung finden, die sich oft bis ins hohe Alter für die eigenen vier Wände verschulden müssen.

Es sind Paare, die sich aus finanziellen Gründen überlegen ob sie sich überhaupt Kinder und wenn, ob sie sich einem zweiten oder dritten Kind das Leben schenken wollen.

Es sind Menschen die sich immer öfter überlegen, ob sie bestimmte Zonen ihrer Stadt meiden sollen, weil sie Angst vor den dortigen Zuständen haben.

Es sind die bereits erwähnten gut ausgebildeten Leute, die lieber im Ausland bleiben.

Es sind Menschen die beruflich und sehr unter Druck stehen und in ihren Gemeinden keine zusätzliche Verantwortung mehr übernehmen können, obwohl sie es gerne täten.

Es sind Ehrenamtliche und Vereinsmenschen, die in ihren Vereinen keine Obleute und Funktionäre mehr finden, Nicht nur die die Bürokratie, sondern die allgemeine Belastung.

Es sind Eltern die keine echte Wahlfreiheit haben, und sich nicht frei entscheiden können, ob sie zu Hause bleiben oder arbeiten gehen.

Es sind Arbeitnehmer die angesichts der hohen Lebenshaltungskosten verunsichert sind und Angst vor Altersarmut oder einem gesellschaftlichen Abstieg haben.

Es sind Arbeitgeber die aufgrund der Steuerlast, hoher Lohnnebenkosten – und ständig neuen Vorschriften, wie jetzt die neuen digitalen Registrierkassen, unter massivem Druck stehen.

Es sind Bauern die unter enormen Preisdruck, einem Preisdumping ausgesetzt sind, und dann noch als Sündenbock für alles mögliche herhalten sollen.

Es sind Unternehmer die keine oder zu wenige qualifizierte Mitarbeiter finden.

Aber auch einen anderen Aspekt, Unternehmer die sehen, dass viele unserer jungen Leute nicht mehr leistungsfähig oder leistungsbereit sind.

Das sind die Menschen die sie mit Ihrer Haushaltsrede erreichen sollten, Herr Landeshauptmann.

Sie wollen unser Land zu einem der lebenswertesten nachhaltigen Lebensräume in Europa machen.

Sie haben heuer mit Stolz die Bewertung der Fitch Rating Agentur vorgestellt, und sie auch in Ihrer Haushaltsrede angeführt, bei der Südtirol mit aaa abgeschnitten habe.

Südtirol wurde mit dem „Standalone Credit Profile“ (SCP) bewertet hat. Es ist dies eine Art Unterbewertung, in der Fitch kleinere Einheiten auch unabhängig vom gesamtstaatlichen Kontext – sozusagen „ohne externe Faktoren“ – einschätzt.
Verschwiegen haben Sie allerdings auch bei dieser Bewertung, dass wir in der Gesamtbewertung, abgewertet und ein A-, also mit leicht negativen Ausblick eingestuft wurden. Warum? Weil Italien einberechnet wurde.

Also bestätigt die Ratingagentur das, was alle in diesem Raum hier wissen, die Zugehörigkeit zu Italien behindert und gefährdet uns wirtschaftlich und in unserer ökonomischen Entwicklung. Ganz abgesehen von den dauernden Spampenadeln, mit dem Zentralstaat.

Unsere Autonomie hat uns in den letzten Jahrzehnten als Minderheit den Hals gerettet, aber der Hemdkragen ist einfach viel zu eng und nur allzu oft kriegen wir autonomiepolitisch keine Luft mehr. (Pfeatl zu eng) Dieses ohnehin enge Hemd der Autonomie, welches in diesem letzten Jahr mehrmals von staatlichen und halbstaatlichen Institutionen in Frage gestellt. Den Begriff „Vollautonomie“ scheint diese SVP/Lega-Salvini-A.A.Sudtirol Landesregierung nicht mehr zu kennen. Bei der Volkspartei erkenne ich durchaus auch aufrechtstehende Menschen, aber die Kämpfer fehlen mir. Vielleicht gibt es ja auch noch welche unter euch, die eine Vollautonomie, oder auch unser freiheitliches Bestreben nach Eigenständigkeit als den für Südtirol geeignetsten Rahmen sehen. Die großen autonomiepolitischen Schritte hin zu mehr Selbstverwaltung fehlen, und auch den erkennbaren Willen dazu vermisse ich.

Sie sagen in Ihrer Rede: Angst ist der beste Nährboden für eine kurzsichtige populistische Politik.

Das politische Zögern, das Bangen und die verwaltungspolitische Scheu neue Kompetenzen einzufordern, oder auch die bestehende Autonomie mutig und eben nicht ängstlich zu verteidigen.

Schaffung einer eigenen Region Südtirol und stattdessen eine andere, neue Form der Zusammenarbeit suchen. (Italiener können dem mittlerweile auch was abgewinnen)

Eine Sportautonomie, die die große Chance hat, unsere gemeinsame Identität als Südtiroler, unsere gemeinsame Identifikation mit diesem Land zu stärken. Wenn wir Freiheitliche von uns Südtirolern sprechen, dann meine ich alle, also alle drei Volksgruppen. Wenn wir dieses Land ausbauen wollen, mehr Autonomie, Selbstverwaltung oder auch die Eigenständigkeit erlangen wollen, kann das nur gelingen, wenn wir uns endlich gemeinsam zu diesem Land bekennen. Und 100 Jahre nach der Teilung Tirols und nach 100 Jahren eigenständiger und harter Entwicklung endlich ein gemeinsames Narrativ zu finden.

Wir haben in Südtirol nun mal eine besondere Entwicklung hinter uns und aufgrund der drei Volksgruppen und dem Zweisprachigkeit im öffentlichen Dienst eine Situation, die uns trotz vieler Gemeinsamkeiten in wesentlichen Bereichen von den Tiroler Landesteilen im Süden und im Norden stark unterscheidet. Die Europaregion ist wichtig und kann die Gemeinsamkeiten fördern, trotzdem wird Südtirol aufgrund seiner Realität immer eine Sonderrolle einnehmen und auch einnehmen müssen. Auch der Tiroler Drang zur Selbstverwaltung und zur Eigenständigkeit ist bei uns in Südtirol besonders ausgeprägt. Wir standen in unserer langen Geschichte schon zweimal kurz davor ein reichsunmittelbares Land zu werden, einmal hat uns die mangelnde Nachkommenschaft gefehlt und einmal hat uns der Mut verlassen, aber wir haben dann zumindest immer die Landesfreiheiten und verbrieften Rechte zu verteidigen versucht. Also eine erste Form von Autonomie einer Teilautonomie. Diese Landesfreiheiten wurden uns immer dann genommen wenn`s zentralistischer und später nationaler geworden ist oder eben wenn wir nur mehr verteidigt und nicht mutig neue Freiheiten und Kompetenzen gefordert haben.

Ein kleines Europa in Europa – Herr Landeshauptmann, wir Freiheitliche teilen dieses Bild und ich verwende es auch regelmäßig, mit dem Unterschied, dass wir es in den Konjunktiv II stellen. Südtirol könnte zu einem kleinen Europa in Europa werden, wenn Sie und die Mehrheit dieses Landtages diesen beim Autonomiekonvent bereits angeschubsten Prozess endlich ernst nehmen und mit Verantwortung und ehrlichem Bemühen vorantreiben würden.

Wir brauchen auch außerhalb Südtirols Unterstützer, die SVP hat Partner in Österreich und Deutschland, hat beste und effiziente Netzwerke in Rom, das zeigen uns auch die tollen Wahlgesetze.

Noch kurz zu der Haushaltsdebatte und der gehaltenen Reden:

TeamK  – Kollegin Rieder meinte gestern, der Ton in diesem letzten Jahr war dieses Hauses nicht würdig. Wann liebe Kollegin wurden im Rahmen von leidenschaftlichen Debatten und politischen Streitgesprächen im Eifer des Gefechts persönliche Beleidigungen ausgesprochen? Meines Wissens niemals, auch deshalb nicht, weil hier für meinen Geschmack viel zu softe und nur wenige spannende politische Debatten stattfinden. Ich verstehe daher auch viele jener Kollegen nicht, die sich „in persönlicher Angelegenheit“ zu Wort melden, nur weil andere Kollegen eine andere politische Meinung haben.

Ansonsten glaube ich, dass doch einige der hier anwesenden Abgeordneten sehr gut, seriös und ja auch kameradschaftlich zusammenarbeiten. Das liegt aber nicht an der Geschäftsordnung, sondern allein an den jeweiligen Charakteren und ihrem Vermögen eine ehrliche thematische und politische Zusammenarbeit fernab mancher parteipolitischen Ideologien zu ermöglichen.

„(…) Der Gesellschaft muss das Vertrauen in die demokratischen Institutionen vermittelt werden. Diese Verantwortung liegt bei uns, denn in diesem hohen Haus werden die Regeln, die Maßstäbe und die  Umgangsformen geprägt, die vielen Menschen in diesem Land dazu dienen, ihr Vertrauen oder aber ihr Misstrauen in die Institutionen Südtirols zu begründen.“ So steht es in Ihrer Haushaltsrede, Herr Landeshauptmann.

Ja, sie Maßstäbe und die Umgangsformen werden von uns geprägt, wir werden an unserer Arbeit hier gemessen. An unserer Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit wie wir hier politisch arbeiten. Wenn ihr, meine liebe Landesregierung, Beschlussanträge der Opposition annehmt, aber auch die Soften Alibi-Anträge der Mehrheit, aber dann niemals umsetzt, dann werft ihr uns ein kleines Keksl zu und eure Leute brauchen manche dieser weichgespülten  Anträge, – seid´s doch ehrlich, die braucht ihr, damit ihr ab und zu in der HGV Zeitung oder im Landwirt einen netten Artikel habt.

LR Kuenzer und Präsident Noggler können ein Lied davon singen, wenn ihre genehmigten Anträge von den eigenen Leuten nicht umgesetzt werden. Ich habe jetzt zum Beispiel kein Budget für die heuer beschlossene und effizient angelegte Sprachstelle gefunden, überraschen Sie mich Herr LH und ziehen Sie einen genehmigten Beschlussantrag der Opposition durch, das den Bügerinnen und Bürgern zu Gute kommt und Südtirol jetzt schon ein kleines Stücken lebenswerter machen würde.

Da fällt Ihnen Herr LH und der gesamten Landesregierung bestimmt kein Zacken aus der Krone, ich sage bewusst nicht Krönchen, denn ein solches tragen ja bekanntlich nur Prinzessinen, Herr Landeshauptmann.❞

Rede zum Haushalt von L. Abg. Andreas Leiter Reber

Andreas Leiter Reber, Landeshaushalt, Video
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