Gestalten statt verwalten
Ohne Zweifel kann man die Autonomie Südtirols insgesamt als Erfolgsgeschichte bezeichnen. Viele Menschen haben sich dafür bleibende Verdienste erworben, angefangen bei Politikern wie Magnago, Brugger, Benedikter, Dietl u. a. über die Freiheitskämpfer der 60er Jahre bis zum heutigen Tag. Es wurde die Grundlage für eine friedliche Entwicklung gelegt, für den wirtschaftlichen Erfolg zeichnet in erster Linie der Fleiß der Menschen verantwortlich. Klar ist aber auch, dass unsere Autonomie keinen Ersatz für die Selbstbestimmung, sondern höchstens die zweitbeste Lösung darstellt. Dass die Autonomie nicht das Ende unserer Geschichte sein kann, belegt eindrucksvoll die Entwicklung in Europa in den letzten Jahrzehnten. Entscheidend wird dabei sein, dass wir uns mittelfristig nicht nur aufs Verwalten (und Verteidigen) beschränken, sondern dass wir offensiv gestalten wollen. Nachdenken über die Autonomie hinaus bedeutet nicht “zündeln” oder “hetzen”, sondern bewusst Verantwortung übernehmen.
Die Autonomie Südtirols muss heute aus dem Blickwinkel der europäischen Entwicklung betrachtet werden. Offene Außengrenzen der EU haben bewirkt, dass ein unkontrollierter Zuzug von Menschen aus kulturfremden Ländern mit all ihren Folgen die Gesellschaften in den Mitgliedsländern der EU gespalten hat. Es ist bedenklich, wenn nun nicht die handelnden Politiker zur Verantwortung gezogen werden, sondern wenn Menschen ausgegrenzt werden, die sich gegen Missstände wehren. Der Zuzug von Menschen aus dem Ausland hat gerade für das Autonomiegefüge Südtirols bedeutsame Auswirkungen; man denke nur an die sensiblen Bereiche von Proporz und Zweisprachigkeit bzw. an die Veränderung der ethnischen Zusammensetzung. Der hart errungene friedliche Ausgleich steht auf dem Spiel.
Angesichts der desolaten Wirtschaftslage in Italien und insbesondere der ausufernden Schuldenlast ist es für Südtirol ein Gebot der Stunde, sich über einen eigenständigen Weg Gedanken zu machen. Südtirol ist seit über 15 Jahren Nettozahler und ohne Zweifel in der Lage, sein Schicksal selber in die Hand zu nehmen. Gleichzeitig muss klar sein, dass jedes politische Projekt der Zustimmung aller drei Volksgruppen bedarf – wie es übrigens auch die Streitbeilegung des Jahres 1992 vor der UNO vorsieht. Zudem ist es für Südtirol wichtig, auch künftig die Schutzmacht Österreich an seiner Seite zu wissen.
Der alljährliche „Tag der Autonomie“ darf nicht zu einer Schablone des Gedenkens verkommen, er muss immer auch ein Nachdenken über den zukünftigen Weg sein.
Pius Leitner
Ehrenobmann DIE FREIHEITLICHEN