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Puigdemonts Festnahme in Deutschland

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Am Sonntag, 25.03.2018 wurde der ehemalige katalanische Präsident Carles Puigdemont in Schleswig-Holstein auf der Durchreise von Finnland nach Belgien, wo Puigdemont im Exil lebt, festgenommen. Grund ein reaktivierter europäischer Haftbefehl – ein internationaler wurde zwischenzeitlich wegen „Aussichtlosigkeit“ zurückgezogen. Zusätzlich wurde Haftbefehl gegen 12 weitere katalanische Politiker erlassen. Der Vorwurf lautet im Falle Puigdemonts unter anderem auf „Rebeliòn“ und Aufruhr aufgrund der Organisation eines illegalen Referendums. Der oberste spanische Gerichtshof scheint mit den Haftbefehlen von Freitag, die katalanische Unabhängigkeitsbewegung, die derzeit von etlichen Exponenten im europäischen Ausland zwei Standbeine in Brüssel und Genf aufbaut, zerschlagen zu wollen.

Da es sich im Falle von Puigdemont wohl um einen politischen Gefangenen handelt, verlangt der Fall neben der Klärung juristischer Aspekte unweigerlich eine politische Bewertung. Die Anwälte Puigdemonts argumentieren, dass eine Verhaftung oder gar Auslieferung für ein Delikt, wie „Rebeliòn“ nicht möglich sei, da es dieses Delikt in vielen europäischen Ländern, so auch in Deutschland, gar nicht gäbe. Die Schweiz und Belgien, wo Puigdemont im Exil lebt, scheinen dieser Argumentation bisher zu folgen.

Die Information über die Fahrt Puigdemonts von Finnland über Schweden, Dänemark und Deutschland nach Belgien erfolgte wohl vom spanischen Geheimdienst. Ob die Festnahme politisch motiviert ist oder ob gar eine einseitige Parteinahme Deutschlands zugunsten der im Konflikt mit Katalonien nationalistisch und zentralistisch agierenden Zentralregierung in Madrid zugrunde liegt, gilt es in den nächsten Tagen und Wochen zu beobachten. In Finnland führte Puigdemont am Donnerstag noch Gespräche im Parlament, freitags gab es einen Vortrag an der Universität Helsinki. Auf den reaktivierten europäischen Haftbefehl reagierten die Finnen unaufgeregt. Der Antrag wurde zwar an einen Staatsanwalt weitergeleitet, gleichzeitig aber mehr Informationen von Spanien angefordert. Schwupps war das Problem ausgesessen. Warum wird Puigdemont nun gerade in Deutschland festgenommen?

Die Prioritätensetzung des deutschen Rechtsstaats kann schon eine bestimmte Verwunderung hervorrufen. In strafrechtlich und sicherheitspolitisch relevanten Fällen scheint es ja kein größeres Problem zu sein, Deutschland unbehelligt zu durchqueren, dabei bis zu 14 verschiedene Identitäten zu benützen und danach einen Weihnachtsmarkt mit einem LKW zu durchpflügen.

Der ehemalige iranische Justizchef Ajatollah Mahmud Haschemi Schahrudi wurde im Dezember 2017/ Jänner 2018 gar für drei Wochen in einer Hannoveraner Privatklinik behandelt. Als oberster Richter der islamischen Republik Iran zwischen 1999 und 2009 soll Ajatollah Schahrudi mehr als 2000 Todesurteile bestätigt und unterzeichnet haben – unter anderem gegen Drogendealer, Homosexuelle, Angehörige von Minderheiten und Kinder. In seine Amtszeit fällt beispielsweise die Hinrichtung der 16-jährigen Atefah Sahaaleh 2004. Unter Folter „gestand“ sie, mehrfach vergewaltigt worden zu sein. Wegen Ehebruchs und „unkeuschen Verhaltens“ wurde die Schülerin zum Tode verurteilt und eine Woche später öffentlich gehängt. Diese Elemente reichten wohl nicht aus, um Schahrudi in Deutschland für Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht zu stellen. Vielleicht hatte er ja Garantien vorab im Zuge der Erteilung des Einreisevisums von der deutschen Botschaft in Teheran erhalten?

Wie dem auch sei, bei einer Auslieferung Puigdemonts an Spanien drohen dem katalanischen Politiker bis zu 30 Jahre Haft. Mittlerweile gibt es schon Gerüchte, Puigdemont würde in Deutschland um Asyl ansuchen. Spätestens hier beginnt die politische Tragweite des Falles. Madrid weigert sich seit Jahren mit Katalonien auf Augenhöhe über den zukünftigen Status der Region zu verhandeln. Im Dezember 2017 wurden bei den Regionalwahlen in Katalonien, dessen Parlament von der Zentralregierung in Madrid aufgelöst wurde, wieder mehrheitlich nach Unabhängigkeit strebende Parteien gewählt. Spätestens seitdem befindet sich Spanien in dieser Causa in einer Staats- und Verfassungskrise. Eine Krise, die nur politisch gelöst werden kann. Jedenfalls ist es nicht akzeptabel, dass in Europa im Jahre 2018 Politiker, die mit friedlichen und demokratischen Mitteln für die Unabhängigkeit ihrer Region kämpfen, mit drakonischen, einer Demokratie unwürdigen Strafen zu rechnen haben. Am Beispiel Katalonien zeigt sich auch, ob Europa für den nächsten demokratischen Schritt bereit ist. So wie sich in den letzten zweihundert Jahren die Menschenrechte, Frauenrechte und demokratischen Bürgerrechte schrittweise zur heutigen Qualität entwickelt haben, wird auch das Recht auf Selbstbestimmung eine neue, progressive Interpretation und Entwicklung erfahren müssen. Sicher ist diese Entwicklung keineswegs. Auch ein Rückfall in postdemokratische Zustände ist möglich.

Wir ersuchen die Südtiroler Landesregierung Katalonien in dieser ungewissen Umbruchphase die volle Solidarität auszusprechen und die sofortige Freilassung aller katalanischen Politiker zu fordern.

Wolfgang Niederhofer

Katalonien, Unabhängigkeit, Wolfgang Niederhofer
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